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  • AutorenbildDörte

Wie fühlt es sich eigentlich an, einen Sterbenden zu versorgen?

Angestoßen durch eine Hausaufgabe, die uns unsere Lehrerin Frau G. erteilte, möchte ich ihre Frage aufgreifen und weiterdenken.


Die Frage lautete: "Welche Gefühle hast Du beim Versorgen eines Sterbenden?"


Um diese Frage beantworten zu können, möchte ich euch kurz schildern, was ich über diese letzte Lebensphase weiß und empfinde.


Bisher habe ich viele unserer Bewohner und neben meiner Ausbildung zwei Freundinnen in den letzten Wochen ihres Lebens begleiten und pflegen dürfen. Ich schreibe „dürfen“, da ich diese Lebensphase als eine extrem intime Situation empfinde. Der Sterbende gibt Schritt für Schritt seine Werte, den Willen, die Kontrolle und seine Körperfunktionen auf. Nicht bewußt steuernd, sondern ganz automatisch. Ganz von allein. Einem eigenen Rhythmus folgend.


Das größte Bedürfnis der Menschen, das ich in deren letzten Tagen ihres Lebens erkennen konnte, war das nach Ruhe. Eine Freundin meiner Mutter, die ich vor ihrem Tod noch einmal besuchen durfte, bestätigte das, indem sie auf ihrem Sterbebett zu mir sagte: „Dörte, merke Dir eins für Deine Ausbildung: Sterbende wollen in Ruhe gelassen werden.“ Der Sterbeprozess kann individuell extrem unterschiedlich sein. Aber für viele gilt genau dies: Sie brauchen ihre Ruhe. Nicht selten kommt es vor, dass der Tod genau in der Minute eintritt, wenn gerade niemand mit im Raum ist und sie allein sind.


Jemanden "in Ruhe" zu lassen heißt natürlich nicht, dass ich die Person als Pflegekraft nicht mehr versorge, sondern sie in diesem Prozess so fortschreiten lasse, wie sie es braucht. Es gilt in dieser Phase eines Lebens eine eigene Zeitrechnung, der Mensch folgt einem eigenen Rhythmus und es tauchen wichtige Wünsche auf.


Wenn es der Wunsch nach Ruhe ist, lasse ich die Menschen in Ruhe. Wenn sie um das Halten einer Hand bitten, dann halte ich diese, auch nur für Minuten. Ganz besonders wichtig ist es, diesen Menschen gut zu pflegen. Bei der Grundpflege bin ich besonders vorsichtig aber auch gründlich und umsichtig beim Drehen und Lagern. Unsere Lehrerin sagte: „Achten sie darauf, dass die Person gut versorgt ist! Nehmen sie sich Zeit dafür!“ An diesen Auftrag halte ich mich gern.


Ich habe an Sterbebetten immer ein großes, fast „heiliges“ Gefühl. Egal wie schmutzig, unruhig, qualvoll es für die Person zugeht. Hier in diesen Minuten, Stunden, Tagen geht es um etwas. Ein Moment von großer Bedeutung findet statt. Dieses Unwiederbringliche macht mich ehrfürchtig.

Jedes Wort, das gesagt wird, hat ein noch größeres Gewicht als sowieso schon. Vielleicht in Anbetracht dessen, dass es nicht mehr zurückgenommen werden kann. So ist es noch wichtiger, ehrlich zu sein - zu sich selbst und zum Gegenüber. Ein Wort kann Unsicherheit schüren oder eine Angstwelle besänftigen. Jedes einzelne Wort hat Wirkung.

Und interessanterweise wird es in der Gegenwart von Sterbenden auch ganz ruhig in mir.


Es ist für mich ein riesiger Unterschied, einen mir vertrauten, angehörigen Menschen oder eine sterbende Freundin zu versorgen als einen Bewohner auf unserer Station. Da liegen emotionale Welten dazwischen. Auch wenn ich mit meinem ganzen Herzen in der täglichen Arbeit bin. Aber die Bindung ist eine andere. So gelingt es mir, diese Situationen gut zu bewerkstelligen.


Ich empfinde es als Gnade, neben der Trauer auch die Schönheit des Moments sehen zu können und eine Kraft in diesem intimen und so unfassbar persönlichen Moment erkennen zu dürfen.



Foto @wix.com




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