Ich habe Frühdienst und auf meiner Tour habe ich Frau R. auf meiner Liste für die Grundpflege.
Sie sitzt untertags im Rollstuhl und kann nicht allein aufstehen. An guten Tagen kann sie beim Transfer aus dem Bett in den Rollstuhl sicher stehen. An schlechten Tagen bekommen wir Frau R. nicht ohne einen Lifter aus dem Bett oder auf die Toilette.
An manchen Tagen ist sie dazu weinerlich und begreift Worte sehr langsam. Ob das an ihrer dementiellen Veränderung liegt, an einem schlechten Gehör oder weil sie manchmal nicht hören und mitmachen will, kann ich nicht sagen. Meine Beobachtung ist, dass wenn wir ein paar "aufwärmende" Worte gesprochen haben, dann beginnt die Kommunikation in der Früh ganz gut zu fließen.
Das klingt dann ungefähr so - ich habe das Zimmer betreten - Frau R. ist wach:
"Guten Morgen Frau R.!" Keine Antwort - sie schaut mich an.
"Guten Morgen!" Keine Antwort.
"Ich komme, um ihnen heute bei der Pflege zu helfen." Bei diesen Worten fege ich durchs Zimmer und sammle alle Untensilien zusammen, die ich für die Grundpflege brauche.
"Ich bin da, um sie heute morgen zu waschen, Frau R." Jetzt bleibe ich an ihrem Bett stehen.
"Was sagen sie?" fragt sie jetzt. Ich nehme nun ihre Hand, wende ihr mein Gesicht zu, baue Augenkontakt auf und sage langsam, laut, deutlich und mit klaren Lippenbwegeungen: "Frau R., - ich - komme - um - sie - zu - waschen!" "Ah, ja."
Nun kann es losgehen.
Bei der Grundpflege bemühe ich mich Zeit zu sparen wo ich kann und gleichzeitig so viel von dem anzuwenden, was ich in der Schule gelernt habe. Außerdem bemühe ich mich Frau R. auch bei der Grundpflege zu animieren Handlungen selbst durch zu führen und gleichzeitg muss ich so schnell zu sein wie möglich. Sie macht nach ihren Kräften mit. An den kleinen angestrengten Lauten, die sie heute ausstößt, während sie sich zur Seite dreht und am Bettgitter festhält, erkenne ich, dass sie sich wirklich Mühe gibt mich bei diesem Dauerlauf zu unterstützen.
Ihre fast hundert Jahre alten Glieder sind steif und schwer. Immer wieder klagt sie über Schmerzen in den Beinen. Und gleichzeitig merke ich, dass die Berührungen und die Pflege ihr gut tun.
Nun, nachdem der Ablauf von Waschen und Anziehen im Bett durchgeführt ist, helfe ich ihr sich an die Bettkante zu setzten, so dass ich ihr in den Rollstuhl helfen kann. Dafür kann ich einen Stehlifter verwenden. Aber da das Handling mit dem Lifter lang dauert, im Hintergrund die Uhr tickt und Frau R. es nicht leiden kann in das Gerät geschnallt zu werden, haben Frau R. und ich ein eigenes System entwickelt: sie hält sich mit aller Kraft an meinem Oberkörper fest, steht auf, ich halte und drehe sie vor den Rollstuhl. Nun beugt sie die Knie und setzt sich - nun ja, sie "gleitet", besser sie plumpst. Wir beide fühlen uns aber sicher bei dieser Aktion. Die Handhabung ist nicht ganz korrekt - vor allem nicht für meinen Rücken. Aber seis drum - Frau R. ist glücklich und aktiviert und ich habe Zeit gespart.
Jedes Mal, wenn wir das so geschafft haben, halten wir uns bei den Händen, lachen, schauen uns an und beglückwünschen uns: "Großartig Frau R.!" sage ich dann, "das haben sie wirklich gut gemacht!" Dann freut sie sich und manchmal folgt eine schnelle Umarmung.
Nun, an diesem Tag machen wir das Aufstehen und Umsetzen, wie gerade beschrieben - sie zieht sich an mir hoch, sie steht, ich drehe sie - sie landet sanft im Rollstuhl. Sie schaut mich erwartungsvoll an und sagt mit noch zahnlosem, breiten Lächeln: "Und, wie war ich?" Oh, was haben wir gelacht.
"Großartig, Frau R." antworte ich "einfach spitze!"
Heute bekommen wir beide Standing Ovations!
Wunderbar diese Einblicke in diese schwere und ehrenvolle Arbeit. Ich freue mich, dass es Menschen wie dich gibt die trotz des scheinbar hohen Zeitdrucks so sehr emphatisch mit den Menschen umgeht. Danke!