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Immer muss alles schnell

Autorenbild: Dörte Dörte

Aktualisiert: 6. Okt. 2020

Ich bin müde und mit mir ungeduldig an diesem Morgen. Ständig stolpere ich über Gegenstände, die ich mir in den Weg gestellt habe - den Mülleimer, den Lifter, die Fußstützen. Ich stehe mir heute selbst im Weg. In dem Moment, da ich mich ein weiteres Mal an dem Handtuchhalter stoße, halte ich inne, fluche - dieses Mal laut - und muss gaaaaanz tief atmen. Was mache ich hier? Was ist eigentlich los mit mir und dem, was ich hier tue?


Auf meiner Liste stehen für heute Morgen 10 BewohnerInnen, die ich waschen und anziehen muss. Ein Teil davon sind sogenannte "Fußgänger", die pünktlich um 8 Uhr im Gemeinschaftsraum glänzend am Tisch sitzen müssen, um ihr Frühstück zu bekommen. Der andere Teil ist bettlägerig. Diese BewohnerInnen bekommen um 8 Uhr das Essen auf den Zimmern gereicht. Nach dem Frühstück ist Pausenzeitfenster für das Personal eingetaktet und noch eine Zeitspanne, in der ich die Personen waschen kann, die ich nicht vor 8 Uhr geschafft habe.


10 Personen vor 8 Uhr sind definitiv zu viele für mich. Auch weil ich erst Schülerin im ersten Jahr bin. Und wenn ich auf meiner Liste BewohnerInnen zwischen Pflegegrad 2 und 5 habe, dann ist das gar nicht möglich.


Meine Abläufe werden zwar immer routinierter - aber dennoch ist die Tagesverfassung und die Dynamik jedes einzelnen Tages mit so vielen Variablen gespickt, dass es selten einen Tag gibt, an dem alles glatt läuft. Und auch dann wären 10 Personen zu viel für mich. Ich würde keinem annähernd gerecht werden.


Bei keiner der Zimmertüren weiß ich, was mich erwartet: Hat sich jemand heute in den frühen Morgenstunden übergeben? Hat jemand Fieber? Oder sich und das Zimmer mit Stuhlgang eingeschmiert? Ist die Tagesverfassung gut oder die Person heute schwach? Schläft die Person vielleicht noch obwohl sie eigentlich immer die erste am Morgen ist? ...


Heute ist so ein Tag, an dem ich mich im Kreis drehe. Ich habe gestern Abend nach dem Spätdienst nicht so schnell in den Schlaf gefunden und bin dann immer wieder aufgewacht. Meine Nacht war kurz und ja, mein Biorhythmus findet 4.30 Uhr einfach eine komische Zeit. Mit dieser Grundmüdigkeit bin ich heute angetreten und dann war Herr S. unerwartet eingestuhlt, so dass ich ihn duschen mußte, Frau B. schlecht gelaunt und verwirrter als sonst, was sie unglaublich verlangsamt hat und mich ungeduldig hat werden lassen, Frau R. hat so getan, als verstünde sie mich nicht und war entsprechend sperrig, weil sie nicht gewaschen werden wollte und ich habe viel Kraft aufwenden müssen, um die Grundpflege bei ihr doch durch zu führen.


Seniorin wird gestützt von Pflegekraft
Bild: © wix.com

Nun stehe ich da im Zimmer von Frau S. und mir rennt die Zeit davon. Ich könnte heulen, geflucht habe ich schon und nun muss ich Frau S. beruhigen, da sie mich ansieht und hilflos fragt, ob sie etwas falsch gemacht habe. Sie ist dement und nicht orientiert und kennt mich so nicht.


"Oh nein Frau S. - das können sie gar nicht. Ich ärgere mich über mich selbst." Das beruhigt sie Gott sei Dank ein wenig - auch wenn sie es nicht versteht.

Aber ich frage mich: Warum lasse ich mich so stressen und unter Druck setzen? Warum versuche ich mich immer zu optimieren und in dieses System hineinzupressen? Warum versuche ich überhaupt, diesem kranken System Genüge zu leisten?


Wie Maschinen sind wir Pflegekräfte, die den Mund halten, in uns hineinfluchen und uns in die immer knapper werdenden Zeitfenster hinein optimieren.


Und unsere BewohnerInnen? Sie spüren das. Sie ertragen diese Spannung, die Unsicherheit, die das in ihnen auslöst. Aber sie leben außerhalb der Zeitrechnung - entweder, weil die Tage sowieso zu lang und zu langweilig sind oder weil in ihrer Wahrnehmung Zeit ganz anders existiert.


Die einen rennen sich, die anderen langweilen sich zu Tode.

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